122.
Sie hatten den Garagenhof noch nicht verlassen, da hatte die Hauptkommissarin bereits über die Telekommunikations-einrichtung ihres Dienstwagens die Rufnummer der Sonderkommission gewählt.
„Wir müssen die Suche auf den PKW konzentrieren“, sagte Frau Garber.
„Habe ich schon veranlasst“, antwortete Kommissar Marten. „Wir hatten den Wagen zwar auch schon zur Fahndung ausgeschrieben, aber wahrscheinlich haben sich die Kollegen mehr auf den Van konzentriert. Dass er den nutzt, war ja auch wahrscheinlicher. Und er ist auch auffälliger. Bei dem PKW handelt es sich um einen grauen Golf. Davon gibt es Millionen, wie graue Mäuse. Wir suchen wieder eine Stecknadel im Heuhaufen.“
„Ja, aber dieses Mal wissen wir genau wie die Stecknadel aussieht. Und wir können jeden deutschen Polizisten einsetzen, um sie zu suchen“, brüllte Strecker zurück.
„Können wir nicht über die Medien nach ihm fahnden? Wir haben doch ein Bild von ihm?“, fragte Hauptkommissar Garber.
„Faber hat schon mit dieser Bundesanwältin gesprochen, dieser Frau Dr. Meinhoff. Irrer Name für eine Bundesanwältin, aber gut zu merken. Sie hat abgelehnt, meinte, wir hätten nicht genug Beweise. Und dass es gar nicht zu unserer Theorie passt, dass wir den Van gefunden haben. Zumindest sieht sie keine Gefahr im Verzug, da er nicht den Van genommen hat.“
„Ich bin da leider nicht so optimistisch“, meinte Hauptkommissar Strecker.
„Sie glauben, er ist mit dem Golf unterwegs?“, fragte Lydia Garber.
„Oder er hat sich eine Karre geliehen. Versetzen Sie sich doch mal in den Typen hinein. Er muss doch befürchten, dass irgendjemand bei seinen früheren Taten seinen Van gesehen hat. Da wäre es doch viel zu riskant, noch weiter mit dem Fahrzeug durch die Gegend zu fahren. Ich würde das Fahrzeug eine Weile verschwinden lassen. Für ein Auto ist eine Garage ideal. Keiner sieht das Fahrzeug mehr und dass ein Auto in einer Garage steht, ist das normalste auf der Welt“.
„Mal ehrlich“, wandte er sich an die Hauptkommissarin, „ist ihr Privatwagen auch nur annähernd so aufgeräumt? Nein, der Wagen war ihm zu heiß. Der stand zum Abkühlen in der Garage. Und ich würde nicht auch noch meinen zweiten Wagen verbrennen, sprichwörtlich. Ich würde mir einen Wagen leihen. Einen Van. Wie sieht das denn unser Fallanalyst?“
„Genauso“, antwortete Klaus Sehlmann. „Er ist extrem vorsichtig, versucht jedes Risiko zu vermeiden. Er würde nie ohne Not jetzt seinen eigenen Wagen benutzen. Dabei hat er wahrscheinlich weniger Angst davor, dass wir ihn fassen würden. Damit rechnet er seit er begonnen hat. Nein, ihm ist wichtig, dass seine Mission nicht gefährdet wird.“
„Dann sollten wir die Kollegen alle Autovermieter abklappern lassen oder sie in ihren Systemen nachsehen lassen, ob ein Ralf Heeger ein Fahrzeug geliehen hat. Man braucht bei der Abholung einen Führerschein. Er wird den Wagen hoffentlich unter seinem richtigen Namen angemietet haben. Die Kollegen sollen sicherheitshalber aber noch ein Bild von Heeger mitnehmen. Aber wichtiger ist der Blick in die Mietverträge. Die Schalter der meisten Vermieter sind rund um die Uhr besetzt, die Mitarbeiter arbeiten in Schichten. Deshalb wäre es reiner Zufall, wenn einer Heeger wiedererkennen würde.“
„Guter Vorschlag“, sagte Hauptkommissar Faber. „Marten, Sehlmann ermitteln sie die Adressen und organisieren sie die Besuche. Ich rufe nochmals Frau Dr. Meinhoff an. Vielleicht kriegen wir einen Beschluß, eine Freigabe für die Prüfung der Buchungssysteme der Autovermieter.“
Dass es mittlerweile mitten in der Nacht war, machte Marten seine Aufgabe nicht gerade leichter. Der erste Teil war leicht, eine möglichst vollständige Liste aller Autovermieter aus dem Internet zusammen zu stellen. Das Netz schlief nie, das Netz war immer verfügbar, immer bereit. Mit der Unterstützung von Sehlmann hatte er eine Korrelation zwischen den Verleiheradressen und den zuständigen Polizeibehörden hergestellt. Nun galt es, die zuständigen Polizeidienststellen mit dem Auftrag vertraut zu machen und die Zusammenführung der Ergebnisse zu organisieren. Das erforderte eine Menge Telefonate. Und eine Menge Zeit. Sie erwischten natürlich nicht immer gleich die richtigen Ansprechpartner, mussten sich durchfragen, sich verbinden lassen, die Story wieder und wieder erzählen. Das konnten sie auch nicht zu zweit allein schaffen. Es erforderte eine Menge von Beamten. Aber an verfügbaren Einsatzkräften mangelte es der Sonderkommission derzeit nicht. Auch nicht mitten in der Nacht. Zur Sicherheit ließen sie sich von den Zielpersonen noch die Mailadressen geben und schickten ihnen den Auftrag nochmals zu. Faber hatte ihn zwischenzeitlich formuliert und auch das Bild von Heeger angefügt.
Mit der Staatsanwaltschaft hatte er weniger Glück. Er konnte weder Frau Dr. Meinhoff, noch Frau Dr. Förster erreicht, konnte nur Nachrichten auf den Mailboxen hinterlassen. Doch sie konnten versuchen, die Autovermieter auch ohne Gerichtsbeschluss zu bitten, ihre Buchungssysteme nach Buchungen von Heeger zu durchsuchen. Marten und Sehlmann arbeiteten gerade an der Adressenliste.
Gleichzeitig schwärmten zum zweiten Male Horden von Polizisten aus, um Informationen zu beschaffen. Doch dieses Mal mitten in der Nacht. Es war immer der gleiche Ablauf, an hunderten von Orten machten die Beamten draußen ihre Arbeit. Bei den Autovermietern vorfahren, an Flughäfen, Bahnhöfen an anderen Orten, aussteigen, zum Schalter gehen, sich ausweisen und die Fragen stellen. Dann hieß es auch für die Beamten warten, während die Mitarbeiter der Autovermieter in ihren Rechnern oder Ordnern nachsahen.
In der Leitstelle in Meckenheim telefonierten Beamte mit den Zentralen der Autovermieter. Um zu versuchen, über die Zentralen an die Informationen aus den Buchungssystemen zu kommen. Dabei erwies sich weniger der fehlende Gerichtsbeschluss als Hindernis als die Tageszeit. Es fehlte meist nicht am guten Willen der Telefonpartner, jedoch hatten die Angestellten der Vermieter in der Regel nicht die notwendigen technischen Möglichkeiten für die erforderliche Abfrage. Dazu würden die Spezialisten der IT-Abteilungen benötigt, die jetzt nicht im Dienst, nicht verfügbar waren. Einige versuchten die notwendigen Spezialisten in der Nacht zu erreichen, aber versprechen konnten sie nichts. Also hieß es auch in dieser Angelegenheit: Warten.
Nach und nach trafen Ergebnisse ein. Marten hakte die Rückmeldungen in ihrer Liste ab, leider gab es bisher nur Misserfolge zu registrieren. Die Zahl der Rückmeldungen wuchs, die Zeit verrann.
Das Warten, die ausbleibenden Erfolge, die Ungewissheit über die nächsten Schritte von Fatebug zermürbte die Ermittler.
Sie versuchten sich durch Unmengen von Kaffee oder Pausen an der frischen Luft wach zu halten, was aber immer schwieriger wurde.
Dann gehen 5:00 Uhr morgens ein erster Erfolg. Sie hatten den PKW gefunden, auf dem Parkplatz eines Discounters Parkplatz in Hannover Ledeburg.
„Haben wir schon alle Autovermieter in Hannover befragt?“, rief Hauptkommissar Faber in Richtung des Kollegen Marten.
„Nein“, rief dieser zurück. „Die Rückmeldungen vom Flughafen fehlen noch. Scheiße, die Kollegen in Hannover haben an der falschen Ecke angefangen. Der Flughafen fehlt noch und es gibt eine gute S-Bahnverbindung vom Fundort des Wagens zum Flughafen.“
„Mach den Kollegen in Hannover Dampf. Sie sollen sofort die Vermieter am Flughafen überprüfen. Und zwar möglichst alle gleichzeitig“, kommandierte Faber.
Dann hieß es wieder Warten. Was ihnen aber jetzt deutlich leichter fiel. Das Adrenalin war zurück, verscheuchte die Müdigkeit, sie hatten Witterung aufgenommen.
Die Erfolgsmeldung kam um kurz vor 6:00 Uhr. Heeger hatte sich einen weißen Van gemietet. Der Mitarbeiter am Schalter hatte ihn zweifelsfrei auf dem Bild erkannt. Dienstag spät nachmittags gegen 17:30 Uhr. Die Rückgabe sollte Freitag, ebenfalls am späten Nachmittag erfolgen. Heute war Freitag. Sie hatten zwar mit der Identifizierung Glück gehabt, aber sie hatten offenbar nicht mehr viel Zeit.