123.
Sein Handy klingelte. Es war der Wecker. Es war 5:00 Uhr. Wieder wollte er früh aufbrechen. Es war Freitag, ein Werktag, für die Parkplätze galten die gleichen Rahmenbedingungen wie gestern. Wenn er seine Chancen wahren wollte, musste er früh vor Ort sein. Bezahlt hatte er das Zimmer bereits gestern, er wollte nicht riskieren, dass der Check-Out seinen Zeitplan gefährdete. Natürlich musste er wieder auf das Frühstück verzichten, aber vor seinen Missionen hatte er nie Hunger verspürt. Und einen Kaffee konnte er sich vor Ort besorgen. Sobald er den Parkplatz hatte, hatte er genug Zeit. Würde nur noch warten können. Da war es sogar von Vorteil, noch einen guten Grund für eine Pause zu haben.
Auch dieses Mal hatte er wieder Glück. Das Glück des Tüchtigen, denn vier Runden um den Block hatte er schon drehen müssen, bevor er einen passenden Parkplatz gefunden hatte. Aber der, den er dann bekommen hatte, war gut, er war sogar auf der richtigen Straßenseite.
Nachdem er das Notwendige vorbereitet hatte, wie zum Beispiel das leere Paket auf dem Beifahrersitz bereit zu legen, stieg er aus, ging die Straße herunter um sich in einer Art Kiosk, nur etwa 100 Meter von seinem Parkplatz entfernt, einen Kaffee zu kaufen. Es war wieder ein kalter Morgen, er war froh, dass er sich auf dem Rückweg seine Hände an dem warmen Becher wärmen konnte. Und auch im Auto würde er dieses Mal nicht so frieren müssen. Er hatte an die Decke gedacht, legte sie sich über die Beine und zog sie gelegentlich für einige Minuten sogar hoch bis über die Brust.
Er war erstaunlich ruhig, trotz des gestrigen Fehlversuchs. Aber er hatte gelernt und sich genau überlegt, wie er dieses Mal verhindern konnte, dass Kleefisch ihn wieder abhängte.
Für diese Variante war das Timing noch wichtiger.
Kleefisch war pünktlich. Er war bereit, stieg im richtigen Moment aus, schnappte sich sein Paket und war just in dem Moment genau hinter Kleefisch, als dieser die Haustür geöffnet hatte.
„So ein Zufall“, sagte er. Kleefisch drehte sich um, sah ihn an und lächelte.
„Gut“, dachte er und fragte „Lassen Sie mich wieder rein? Ich hoffe, heute habe ich mehr Glück. Für mehrere Zustellversuche habe ich einfach keine Zeit. Insbesondere, wenn der Empfänger auch noch im obersten Stock wohnt. Ich bin ihnen so dankbar.“
„Weiter reden“, dachte er sich. „Immer weiter reden.“ Denn das war seine Taktik und Kleefisch spielte mit, ohne es zu wissen.
Er blieb, immer weiter redend, neben ihm, bis sie die letzte Treppe vor seiner Tür erreicht hatten. Dann blieb er stehen, blätterte in seinen Papieren herum, gab vor, etwas zu suchen. Als Kleefisch das Podest vor seiner Tür erreicht hatte, setzte er sich wieder in Bewegung, langsam, kontrolliert, Kleefisch immer im Auge behaltend. Als er hörte, wie Kleefisch den Schlüssel in das Türschloss steckte, war er noch zwei Stufen zurück, als Kleefisch die Tür aufdrückte war er genau hinter ihm, hatte den mit dem Betäubungsmittel getränkten Lappen in der Hand, zog seine Hand aus der Tasche seiner Jacke und drückte Kleefisch den Lappen vor das Gesicht. Dass Kleefisch vor Schreck einatmete, besiegelte sein Schicksal. Seine Beine versagten ihm die weiteren Dienste, er sackte zusammen.
Erst legte er Kleefisch hinter der Tür auf den Boden, dann nahm er ihm die Schlüssel ab. So schnell er konnte, lief er die Treppe herunter zu seinem Van. Er brauchte noch seine Werkzeugtasche.
Zurück in Kleefischs Wohnung musste er erst einmal tief durch schnaufen. Er gönnte sich einige Augenblicke Pause. Dann griff er in seine Werkzeugtasche, holte eine Gesichtsmaske heraus und legte sie an. Als Nächstes zog er die Einmalhandschuhe über seine Hände, dann den Overall an. Bevor er sich in der Wohnung umsah, verpasste er Kleefisch sicherheitshalber noch eine Dosis des Betäubungsmittels. Er sah zuerst auf die Uhr. 9:57 Uhr. Dann sah er sich in Ruhe in der Wohnung um.